Vom 12.-14. März 2014 fand in Hamburg eine Konferenz mit dem Titel „Animal Politics – Politische Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses“ im Rahmen der Frühjahrstagung der Sektion für Politische Theorie und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) statt[1].
Für mich war dies die erste Konferenz, die ich zum Thema politische Philosophie im allgemeinen und das Thema Tierrechte im besonderen besucht habe. Als „Tierrechts-Anfänger“ war ich dann allerdings erstaunt und zugegebenermaßen auch etwas enttäuscht, dass es offensichtlich in philosophischen Kreisen entgegen meiner Annahme immer noch nicht Konsens ist, dass Tiere generelle Grundrechte haben sollten (von politischen Rechten ganz zu schweigen). Ein Teilnehmer meinte, dass es schon frustrierend sei, nach 40 Jahren Tierrechtsdebatte selbst auf diesen Konferenzen immer wieder bei Adam und Eva anzufangen. Eine andere Teilnehmerin war allerdings der Ansicht, dass dies schon in Ordnung sei, da sich hier nur die sehr unterschiedlichen Positionen der Bevölkerung widerspiegelten.
Leider konnte ich am ersten Tag lediglich das Panel II: Tierpolitische Interventionen: Theorie, Literatur, Journalismus besuchen, in welchem auch Hilal Sezgin (Autorin Artgerecht ist nur die Freiheit, München: Beck 2014) sprach. Sie stellte die Wichtigkeit heraus, einen Zugang zu den Menschen zu finden, um in ihnen einen Blick für Tiere als Individuen zu entwickeln. Dabei nutzt sie verschiedene Schreibstrategien, um Empathie erzeugen. In einigen Fällen reiche es dabei, bestimmte Vorschriften aus der Tierrechtsindustrie zu zitieren, um die Absurdität und ethische Problematik darzustellen. In anderen Fällen sind persönliche Erfahrungen, Geschichten oder Statistiken hilfreich.
Der zweite Tag begann mit einem Votrag von Timothy Pachirat (Autor von „Every Twelve Seconds: Industrialized Slaughter and the Politics of Sight“, Yale University Press 2011), der eindrucksvoll seine Arbeitserfahrungen in einem amerikanischen Rinder-Schlachthaus beschrieb. Dort ist der Tötungs- und Verarbeitungsprozess so kleinteilig organisiert, dass sich letztendlich kein Arbeiter für die Tötung der Tiere verantwortlich fühlt: Der „knocker“ behauptet, er betäube ja nur, während der „sticker“, welcher die Halsschlagader zum Ausbluten ansticht, die Aufgabe ja lediglich zu Ende führe. Die räumliche Trennung von „dirty side“ (die äußere Tierhaut ist noch nicht entfernt) und „clean side“ sind zwar ursprünglich auf Gesundheitsvorschriften zurückzuführen, aber sie helfen auch, sicherzustellen, dass kaum jemand direkt mit dem Tod der Tiere konfrontiert wird. Pachirat meint, dass es einerseits helfen würde, die Praktiken in Schlachthäusern öffentlich zu machen, andererseits ist er nicht ganz so optimistisch wie Paul McCartney („Wenn Schlachthäuser Glaswände hättten, würde niemand mehr Fleisch essen“), da z.B. in den USA die Fleischindustrie ihre Prozesse mittlerweile öffentlich zur Schau stelle, um zu zeigen, wie sauber, transparent und korrekt alles ablaufe. Zudem gebe es eine neue Bewegung des „Do-it-yourself“-Tötens, welche die Gefahr mit sich bringe, dass das Töten von Tieren sich wieder dezentralisiert, gewissermaßen zelebriert und somit sogar zu einer Zunahme der gesellschaftlichen Anerkennung führen könnte.
Zwei Beiträge waren eher theoretischer Natur: „Das Mensch-Tier-Verhältnis in der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule“ sowie „Alasdair MacIntyres aristotelisch-thomistische Neuerkundung des Mensch-Tier-Verhältnisses“, denen ich nicht so viel abgewinnen konnte außer der Aussage, dass das Mensch-Tier-Verhältnis einem Kultur-, Wissens- und Wertewandel unterliege, woraus ich für mich schlussfolgerte, dass „alte“ Philosophen nicht unbedingt aktuelle Erkenntnisse für die Tierrechtsproblematik liefern können.
Der Vortrag von Svenja Ahlhaus über demokratische Repräsentation war einer der wenigen, die einen Beitrag für die Umsetzung von politischen Tierrechten leisteten, indem sie Probleme theoretisch analysierte und Lösungsmöglichkeiten anbot. Dabei ging es hauptsächlich um legitimierte Repräsentation von Tieren (z.B. Tierschutzbeauftragte) im Gegensatz zu selbsternannter Repräsentation (zitiert wurde der Sänger Bono, der sich selbst als Sprecher der Armen in Afrika ernannt hat). Mir fehlte allerdings die Behandlung der Rolle von Parteien, die sich m.E. irgendwann hinsichtlich ihrer Haltung zu Tierrechten positionieren müssten.
Die „Star-Gäste“ der Tagung waren Will Kymlicka und Sue Donaldson, die Autoren von Zoopolis. Ihr Buch wurde von drei Panelisten kommentiert. Leider hatten alle drei eher Probleme mit dem Ansatz, wobei es mir schien, dass sie nicht recht über ihren eigenen Schatten springen konnten. Es fehlte somit jemand als Gegengewicht, der für die Zoopolis-Thesen zusätzliche Argumente bzw. weiterführende Ideen eingebracht hätte. Zumindest aus meiner Sicht – wobei ich zugegebenermaßen bereits vorher ein Anhänger der Zoopolis-Ansatzes war – konnte Kymlicka sehr überzeugend darlegen, dass die meisten Kritikpunkte zu kurz greifen. Beispielsweise gehe es beim Thema politische Tierrechte nicht darum, dass Tiere in Gremien sitzen oder wählen müssten, denn auch viele Menschen nähmen diese Rechte nicht wahr. Vielmehr sei es wichtig zu erkennen, dass Tiere ein Teil unserer Gesellschaft seien und daher auch entsprechend behandelt werden sollten.
Die Abend-Vorlesung von Kymlicka ging dann auch um das konkrete Beispiel zweier Ochsen des amerikanischen Green Mountain College, welche jahrelang mit den Studenten die Felder bestellt haben. Als einer krank wurde und der andere sich weigerte, ohne seinen „Kumpel“ zu arbeiten, beschloss die College-Leitung, beide zu töten. An diesem Beispiel wurden Aspekte diskutiert wie kooperative Beziehungen, das Tiere-zu-verstehen-Versuchen, natürliches Verhalten von Menschen gegenüber Mitmenschen und Tieren vs. ideologisch geprägtes Verhalten, Bürgerrechte für Tiere, Anspruch auf Leistungen des Wohlfahrtsstaats für Tiere, und einiges mehr. Kymlicka vertritt die Ansicht, dass eine UN-Charter on Animal Welfare eher dazu beitragen würde, die menschliche Überlegenheit zu zementieren; daher sei es besser, dass die internationale Gesetzgebung zu dem Thema Tierrechte wie bisher schweige. SeineSchlussbemerkungen waren recht düster: Er sei eher pessimistisch, was die weitere Entwicklung anbelangt, da sich die Verhältnisse für Tiere insgesamt eher verschlechterten und eine politische Richtung fehle. Trotzdem müsse man aber weiterhin versuchen, für Tierrechte einzutreten.
Am dritten Tag legte die Juristin Saskia Stucki überzeugend dar, dass Tiere aus rechtstheoretischer Sicht Personen im rechtlichen Sinne seien und somit Rechte haben können. Das Personenkonzept sollte daher auf eine neue Kategorie, die „tierliche Person“ ausgedehnt werden. Die Behauptung, nur Menschen könnten Personenstatus haben, sei auch deshalb inkonsequent, da Gesellschaften juristische Personen sind, die wie Menschen (also natürliche Personen) Rechte und Pflichten haben. Bisher sind Tiere rechtlose Objekte, aber keine Sachen. Sie werden allerdings nicht als Sachen, sondern wie Sachen, behandelt. Ein neuer Status für Tiere müsste über eine formelle Änderung hinausgehen, da sonst wenig gewonnen würde. Das Tierschutzgesetz sei aktuell eher ein Tiernutzgesetz. Eine schrittweise Ausweitung von Tierrechten auf unterschiedliche Tierarten (z.B. zunächst Haustiere, erst später Nutztiere) hielt Stucki für rechtlich schwer umsetzbar.
Karsten Nowrot behandelte das Thema „Tiere im Kriegseinsatz und das humanitäre Völkerrecht“. Interessant war hier, dass Tiere, welche bei der Armee „angestellt“ sind, den Rang eines Oberst haben können und ihnen Ruhestandsrechte und medizinische Vesorgung zustehen. Nowrot sieht daher eine Chance darin, das humanitäre Völkerrecht als einen Ansatzpunkt für Tierrechte zu nutzen.
Der Vortrag von Johannes Marx und Christine Tiefensee über „Menschen, Tieren und Robotern“ analysierte anhand verschiedener Kriterien (aktive und passive Rechte, Pflichten, Kooperationsfähigkeit, etc.), inwieweit sich gesunde, erwachsene Menschen, Kinder und geistig behinderte Menschen, Tiere und Roboter unterscheiden. Der sehr systematische Ansatz wurde allerdings nicht ganz konsequent durchgezogen, weshalb m.E. die Schlussfolgerung, Tiere könnten keine Bürgerrechte haben, zukünftige Roboter hingegen eventuell schon, nicht ganz überzeugend war. Trotzdem scheint der Hinweis wichtig, dass man die Diskussion über Roboterrechte im Auge behalten sollte.
Bernd Ladwig, neben Peter Niesen einer der Ausrichter der Tagung, hielt noch einen Vortrag, in welchem er sich kritisch mit dem Zoopolis-Konzept der Souveränitätsrechte für wilde Tiere auseinandersetzte. Allerdings konnte ich der recht theoretischen Argumentation nicht folgen. Jedenfalls blieb auch hier Kymlicka nichts anderes übrig, als seine Thesen zu verteidigen, anstatt in einen weiterführenden Dialog treten zu können.
Trotzdem verdient es Anerkennung, dass die DVPW das Thema politische Tierrechte aufgegriffen und eine Konferenz mit hochkarätige Besetzung organisiert hat. Es ist daher zu wünschen, dass noch mehr Tagungen dieser Art stattfinden, schließlich gibt es neben theoretischer Arbeit offensichtlich auch noch einige Überzeugungsarbeit in den akademischen Zirkeln zu leisten.
[1]http://www.dvpw.de/gliederung/sektionen/politische-theorien-und-ideengeschichte/sektionstagungen.html;
Programm: http://www.dvpw.de/fileadmin/user_upload/sek_vp/Politische_Theorie/Animal_Politics_Programm.pdf
Nachlese inkl. Video des Vortrags von Jan Philipp Reemtsma sowie eines Tagungsberichts: http://www.wiso.uni-hamburg.de/professuren/politische-theorie/aktuell/aktuelles/meldung/animal-politics-tagung-nachlese/?no_cache=1
Dieser Artikel erschien im Magazin “Tierbefreiung” Nr. 83, Juni 2014.